Zum Ende der Legislaturperiode sind wichtige Entscheidungen zu zentralen Compliance-Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung getroffen worden:
- Der Bundestag hat am 11. Juni 2021 das „Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ („Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz; „LkSG“) verabschiedet. Der Bundesrat hat das Gesetz am 25. Juni 2021 gebilligt. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Es verpflichtet inländische Unternehmen mit 3.000 ( ab dem 1. Januar 2024: 1.000) Mitarbeitern zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten (Risikomanagement, Risikoanalyse, Präventionsmaßnahmen, Abhilfehilfemaßnahmen, Beschwerdeverfahren) entlang internationaler Lieferketten (siehe dazu unseren Client Alert vom 26. März 2021). Es wird die Sorgfaltspflichten vieler Unternehmen erheblich verschärfen und weitreichende Auswirkungen auf ihre Risikomanagement- und Compliance-Systeme haben. Durch eine Änderung im Gesetzgebungsverfahren ist der Anwendungsbereich für ausländische Unternehmensgruppen erheblich ausgeweitet worden. Verpflichtet werden nunmehr auch Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen mit mehr als 3.000 (ab dem 1. Januar 2024: 1.000) Mitarbeitern sein.
Weitere Impulse, insbesondere hinsichtlich der zivil- und strafrechtlichen Haftung von Unternehmen, sind in Zukunft von der Europäischen Union zu erwarten. Die EU Kommission arbeitet am Entwurf einer europäischen Lieferketten-Richtlinie.
- Ein anderes Compliance-Gesetzgebungsvorhaben ist hingegen gescheitert. Die Parteien der Regierungskoalition konnten letzte offene Streitpunkte betreffend das Verbandssanktionengesetz („VerSanG“; s. dazu Client Alert vom 30. April 2020 und Client Alert vom 25. September 2020) nicht lösen. Das VerSanG hätte in Deutschland erstmalig eine quasi-strafrechtliche Sanktionierung von Unternehmen ermöglichen sollen und u.a. gesetzliche Anforderungen an interne Untersuchungen definiert. Es steht zu erwarten, dass nach den Bundestagswahlen im Herbst 2021 erneut der Versuch unternommen werden wird, ein auf die Sanktionierung von Unternehmen fokussiertes Gesetz zu schaffen.
LIEFERKETTENSORGFALTSPFLICHTENGESETZ
Rückblick
Bereits am 3. März 2021 hatte das Bundeskabinett das damals noch als Sorgfaltspflichten- oder Lieferkettengesetz bezeichnete Gesetz beschlossen („Regierungsentwurf“) (siehe dazu unseren Client Alert vom 26. März 2021). Nach kontroverser politischer Debatte einigten sich die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD im Bundestag auf zahlreiche Änderungen am Regierungsentwurf. Der Bundestag hat das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mit diesen Änderungen angenommen.
Änderungen im Gesetzgebungsverfahren
Die wichtigsten Änderungen betreffen folgende Aspekte des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes:
- Anwendungsbereich: Der Anwendungsbereich des Gesetzes wurde ausgeweitet. Wurden vom Regierungsentwurf nur inländische Unternehmen mit mehr als 3.000 (ab dem 1. Januar 2024: 1.000) Arbeitnehmern erfasst, sind nun auch inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften erfasst, die in der Regel mehr als 3.000 (ab dem 1. Januar 2024: 1.000) Arbeitnehmer beschäftigen (§ 1 (1) LkSG). Bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl sind bei inländischen Unternehmen zudem ins Ausland entsendete Arbeitnehmer zu berücksichtigen (§ 1 (1) LkSG).
Durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des LkSG auf Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen wurde eine Forderung aus der deutschen Wirtschaft aufgegriffen, die Wettbewerbsnachteile befürchtete und ein level playing field forderte. Eine im Gesetzgebungsverfahren unbeantwortet gelassene Frage ist, ob bzw. wie nicht nur die inländische Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung, sondern auch die ausländische Konzernobergesellschaft die Pflichten aus dem LkSG beachten muss.
- Geschützte Rechtspositionen: Der Katalog der umweltbezogenen Pflichten wurde erweitert und umfasst nun auch die Ein- und Ausfuhr gefährlicher Abfälle sowie den Abfallhandel (§ 2 (3) LkSG). Dadurch werden Verstöße gegen das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung erfasst.
- Eigener Geschäftsbereich: Ist eine Verletzung geschützter Rechtspositionen oder umweltbezogener Pflichten eingetreten oder steht eine solche unmittelbar bevor, müssen Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich grundsätzlich Abhilfemaßnahmen treffen, die zur Beendigung der Verletzung führen (§ 7 (1) LkSG). Die Definition des eigenen Geschäftsbereichs des Unternehmens wurde für Konzernsachverhalte ausgeweitet. Begrenzte der Regierungsentwurf den eigenen Geschäftsbereich auf den Rechtsträger des Unternehmens, sieht das LkSG nunmehr vor, dass in Konzernsachverhalten der Geschäftsbereich der Konzernobergesellschaft auch die Tätigkeit von Untergesellschaften erfasst, wenn die Konzernobergesellschaft “bestimmenden Einfluss” auf die Untergesellschaft ausübt (§ 2 (6) LkSG). Das LkSG definiert einen autonomen Konzernbegriff mit eigenen, vom aktienrechtlichen Konzernrecht abweichenden Beurteilungskriterien.
Nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht des federführenden Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales ist der „bestimmende Einfluss“ nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen und setzt voraus, dass eine Einflussnahme rechtlich möglich ist. Daneben sind wirtschaftliche, personelle, organisatorische und weitere rechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Als Beispiele für einen „bestimmenden Einfluss“ werden genannt: (1) hohe Mehrheitsbeteiligungen an Tochtergesellschaften, (2) konzernweites Compliance-System, (3) Übernahme von Verantwortung für die Steuerung von Prozessen in Tochtergesellschaften (etwa Lieferkettenmanagement), (4) personelle Überschneidungen in der Geschäftsführung oder (5) ähnlicher Zuschnitt des Geschäftsbereichs zwischen Ober- und Untergesellschaft. Relevant dürfte dies u.a. für Konzernobergesellschaften mit einer Matrix-Organisation werden.
- Zivilrechtliche Haftung: Das LkSG stellt ausdrücklich klar, dass eine Verletzung der im Gesetz definierten Sorgfaltspflichten keine eigenständige zivilrechtliche Haftung des Unternehmens begründet (§ 3 (3) LkSG). Nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht des federführenden Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales handelt es sich vor allem nicht um ein sogenanntes Schutzgesetz, dessen Verletzung Schadensersatzansprüche nach § 823 (2) BGB zur Folge haben könnte. Der federführende Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht unterstrichen, dass das LkSG vorrangig durch Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren durchgesetzt werden soll. Allerdings soll nach § 3 (3) LkSG eine bereits nach geltendem Recht vor Inkrafttreten des LkSG bestehende zivilrechtliche Haftung unberührt bleiben. Ob und unter welchen Umständen eine solche Haftung besteht, ist rechtlich äußerst umstritten und sehr vom Einzelfall abhängig.
- Sorgfaltspflichten und Risikoanalyse: Der federführende Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht betont, dass Unternehmen zwar nach § 3 (1) LkSG verpflichtet sind, eine Due-Diligence durchzuführen, aber nicht dafür garantieren müssen, dass geschützte Rechtspositionen oder umweltbezogene Positionen nicht verletzt werden. Er hat in seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht unterstrichen, dass nur Maßnahmen „im Rahmen des konkret Machbaren und Angemessenen“ zu ergreifen sind. Die vollständige Verhinderung aller Menschenrechtsrisiken verlangt das LkSG nicht. Unternehmen müssen weder rechtlich noch faktisch Unmögliches (etwa bei Nichtverfolgbarkeit von Rohstoffen beim Kauf an Rohstoffbörsen) leisten. Eine weitere Erleichterung betrifft die Risikoanalyse (§ 5 (1) LkSG), die Unternehmen verpflichtet, die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken in ihrem eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zuliefern zu ermitteln. Nach der Endfassung von § 5 (3) LkSG müssen die Ergebnisse dieser Risikoanalyse zwar an die maßgeblichen Entscheidungsträger im Unternehmen kommuniziert werden. Abweichend vom Regierungsentwurf besteht nunmehr aber keine gesonderte Pflicht der Entscheidungsträger, die Ergebnisse zu berücksichtigen.
- Abhilfemaßnahmen: Die bei Verletzungen zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen sind weiter konkretisiert worden.
- Der Regierungsentwurf des LkSG verlangte bereits, dass Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich im Inland zu einer Beendigung der Verletzung führen. Ergänzend wird nunmehr die Pflicht begründet, dass die Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich in Konzernsachverhalten (d. h. insbesondere in Tochtergesellschaften oder an rechtlich unselbstständigen Standorten) und im Ausland „in der Regel“ zur Beendigung der Verletzung führen (§ 7 (1) LkSG). Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass im Ausland nicht immer die tatsächlichen und rechtlichen bzw. gesetzlichen Rahmenbedingungen gegeben sind, um die Verletzung zu beenden. In diesen Fällen soll es dem Unternehmen auch weiterhin möglich sein, dort einer Geschäftstätigkeit trotz der Verletzung geschützter Rechtspositionen nachzugehen. Allerdings sind Abhilfemaßnahmen zur Minimierung der Verletzung zu ergreifen.
- Das LkSG bestimmt, dass eine Geschäftsbeziehung zu einem unmittelbaren Zulieferer grundsätzlich nicht deshalb abgebrochen werden muss, weil der Staat des unmittelbaren Zulieferers die vom LkSG erfassten Abkommen nicht ratifiziert oder in nationales Recht umgesetzt hat (§ 7 (3) LkSG) und der unmittelbare Zulieferer deshalb insoweit keinen gesetzlichen Pflichten unterliegt. Dieser Umstand ist aber von den Unternehmen in die Risikoanalyse mit einzubeziehen und durch andere, angemessene Präventions- und ggf. Abhilfemaßnahmen zu adressieren.
- Mittelbare Zulieferer: Das LkSG definiert nun etwas genauer, wann Unternehmen im Hinblick auf mittelbare Zulieferer anlassbezogen Sorgfaltspflichten erfüllen müssen. Dies ist immer dann der Fall, wenn das Unternehmen substantiierte Kenntnis erlangt, d.h. tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine menschenrechtliche Verletzung oder einen Verstoß gegen eine umweltbezogene Pflicht bei mittelbaren Zulieferern möglich erscheinen lassen (§ 9 (3) LkSG). Etwas präzisiert wird ferner der Begriff der angemessenen Präventionsmaßnahme gegenüber dem mittelbaren Verursacher der Verletzung. Darunter fallen insbesondere die Durchführung von Kontrollmaßnahmen, die Unterstützung bei der Vorbeugung und Vermeidung eines Risikos oder die Umsetzung von branchenspezifischen oder branchenübergreifenden Initiativen, denen das Unternehmen beigetreten ist.
Ausblick
Für eine effiziente Umsetzung im Unternehmen sollten die neuen Regelungen des LkSG mit entsprechenden Anforderungen anderer Rechtsordnungen (z.B. dem französischen „Loi de vigilance“ aus dem Jahr 2017, dem „Child Labor Due Diligence Law“ der Niederlande aus dem Jahr 2019 sowie dem britischen „Modern Slavery Act“ aus dem Jahr 2015) verglichen und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmt werden. Die Geschäftsführung sollte Vorkehrungen treffen, das interne Risikomanagement laufend zu überwachen und den neuen Anforderungen entsprechend anzupassen. Ob das für die behördliche Durchsetzung und Kontrolle zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zeitnah von der Möglichkeit Gebrauch machen wird, praktikable branchenübergreifende oder –spezifische Handreichungen zu veröffentlichen, bleibt abzuwarten.
VERBANDSSANKTIONENGESETZ
Vorerst wird es in Deutschland weiterhin kein Verbandssanktionengesetz geben. Es bleibt bei dem durch das Ordnungswidrigkeitengesetz definierten Regelungsrahmen, der bereits eine Sanktionierung von Unternehmen bei unternehmensbezogenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ermöglicht.
Obwohl auf Ebene des Bundeskabinetts Einigkeit bezüglich des Entwurf des Verbandssanktionengesetzes bestand, ließen sich die Bedenken der Parlamentarier im Ergebnis nicht beseitigen.
Angesichts der internationalen Tendenz (u.a. auf Ebene der OECD) zu einer schärferen strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen steht es zu erwarten, dass die nächste Bundesregierung eine Variante des Verbandssanktionengesetzes wieder auf die Tagesordnung setzen wird.
Die Autoren danken Herrn ass. iur. Martin Scheuermann für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags.