Verbandssanktionengesetz: Gesetzgebungsverfahren schreitet voran
Verbandssanktionengesetz: Gesetzgebungsverfahren schreitet voran
Die umfassende Neuordnung der Sanktionierung von Unternehmen wegen unternehmensbezogener Straftaten durch ein Verbandssanktionengesetz („VerSanG“) rückt näher. Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung unter dem Vorbehalt überschaubarer Änderungen grundsätzlich gebilligt. Das Gesetzesvorhaben könnte daher in absehbarer Zeit noch bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 umgesetzt werden. Das VerSanG hätte weitreichende Auswirkungen auf das Compliance Management System („CMS“) von Unternehmen (s. Client-Alert vom 30. April 2020).
Die vom Bundesrat geforderten Änderungen würden deutsche und ausländische Unternehmen in unterschiedlicher Weise betreffen.
Das Gesetzgebungsverfahren für das VerSanG nimmt weiter an Fahrt auf. Das Bundeskabinett hatte den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz („BMJV“, ausführlich dazu Client Alert vom 30. April 2020) ohne Änderungen am 16. Juni 2020 angenommen („Regierungsentwurf“ oder „VerSanG-E“). Aufgrund der breiten Parlamentsmehrheit der Parteien der Regierungskoalition macht dies die Zustimmung des Bundestages wahrscheinlich. Das Gesetz bedarf jedoch der Zustimmung des Bundesrats.
Von Fach- und Wirtschaftsverbänden waren erhebliche Bedenken gegen das geplante Gesetz artikuliert worden. Dieser Kritik schlossen sich einzelne Bundesländer an. Zwei Fachausschüsse des Bundesrates hatten sogar für eine Generalablehnung plädiert. In seiner Sitzung vom 18. September 2020 hat sich der Bundesrat jedoch mehrheitlich grundsätzlich zustimmend zum Gesetzesvorhaben bekannt. Er stellte lediglich hinsichtlich einzelner Regelungen Änderungsbedarf fest. Mit diesen hat sich nun die Bundesregierung zu befassen. Sie wird voraussichtlich in den nächsten Wochen eine Gegenäußerung mit Anpassungsvorschlägen erstellen. Anschließend werden die Stellungnahme des Bundesrats und die Gegenäußerung der Bundesregierung dem Bundestag zugeleitet werden. Das VerSanG könnte – in modifizierter Form – in der bis 2021 laufenden Legislaturperiode verabschiedet werden.
Nach der Stellungnahme des Bundesrats sind Änderungen des VerSanG in folgenden Bereichen zu erwarten:
Ein Kernanliegen des Bundesrats ist der Schutz und die Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“), d.h. Unternehmen, die weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen und entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro erzielen oder eine Bilanzsumme von höchstens 43 Mio. Euro ausweisen.
Der Bundesrat hebt drei konkrete Aspekte hervor:
Der Bundesrat fordert eine Einschränkung des internationalen Anwendungsbereichs des VerSanG. Art und Umfang des Inlandsbezugs sollen konkretisiert werden.
Hinsichtlich der Erstreckung auf Taten, auf die das deutsche Strafrecht nicht anwendbar ist, regt der Bundesrat weitere Einschränkungen an. Eine vom Bundesrat befürchtete „ausufernde“ Befassung deutscher Strafverfolgungsbehörden mit ausländischen Sachverhalten soll vermieden werden. Nach Vorstellung des Bundesrats soll eine Begrenzung des Anwendungsbereichs z.B. durch das Erfordernis eines wesentlichen Geschäftsbetriebes im Inland oder des Eintritts eines erheblichen Schadens im Inland erfolgen.
Die Änderungen wären insbesondere für ausländische Unternehmen mit Niederlassungen oder Tochtergesellschaften in Deutschland von großer Bedeutung.
Nach dem geplanten Gesetz ist Voraussetzung für die Verhängung einer Sanktion gegen ein Unternehmen die sogenannte Verbandsverantwortlichkeit (vgl. § 3 Abs. 1 VerSanG-E; siehe dazu Client Alert vom 30. April 2020).
Zur Begründung der Verbandsverantwortlichkeit bedarf es einer Anknüpfungstat. Darunter fällt auch die Verletzung von Aufsichtspflichten, die der Regierungsentwurf weit definiert. Anders als im gegenwärtig maßgeblichen Ordnungswidrigkeitengesetz („OWiG“) würde nach dem Regierungsentwurf zur Begründung der Verbandsverantwortlichkeit eine objektiv festgestellte Aufsichtspflichtverletzung der Leitungsperson in Form unzureichender Organisations- und Überwachungsmaßnahmen genügen. Eine Sanktionierung des Unternehmens wäre also im Falle einer objektiv mangelhaften Organisation begründet, wenn ein Unternehmensmitarbeiter oder ein weisungsgebundener Dritter eine unternehmensbezogene Straftat begeht.
Der Bundesrat fordert hingegen zusätzlich zur objektiven Pflichtverletzung der Leitungsperson ein individuelles Verschulden der Leitungsperson hinsichtlich der Aufsichtspflichtverletzung in Form unzureichender Organisations- und Überwachungsmaßnahmen. Eine Verbandsverantwortlichkeit wäre demnach nur begründet, wenn die Leitungsperson die unzureichende Organisation oder Überwachung vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat. Im Fall der Umsetzung der vom Bundesrat geforderten Änderung könnten sich die Verteidigungsmöglichkeiten von Unternehmen insbesondere dann verbessern, wenn ihr CMS effektiv implementiert und laufend fortentwickelt wurde und sich erst rückblickend als nicht ausreichend herausstellt.
Der Bundesrat fordert die Streichung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des Unternehmens (§ 14 VerSanG-E). Eine „Bloßstellung“ oder „Anprangerung“ verurteilter Unternehmen in der Öffentlichkeit soll vermieden werden.
Der Bundesrat regt eine Begrenzung der Höhe der Verbandssanktion im Falle der Rechtsnachfolge an. Dies soll die Rechts- und Planungssicherheit bei Unternehmenskäufen bzw. -Veräußerungen sowie Umstrukturierungsmaßnahmen erhöhen. Haftungsrisiken aus Unternehmenskäufen sollen sich anhand objektiver Kriterien besser beziffern lassen.
Eine Verbandssanktion könnte auch gegen den Rechtsnachfolger verhängt werden (§ 6 VerSanG-E). Der Bundesrat befürchtet, dass sich die Höhe der Verbandssanktion am Jahresumsatz des Rechtsnachfolgers orientieren könnte und dass dies zu einer unverhältnismäßig hohen Verbandssanktion führen könnte. Der Bundesrat fordert eine Deckelung auf den Wert des übernommenen Vermögens bzw. die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Verbandssanktion.
Der Bundesrat regt an, das Verfahren der Sanktionierung von Verbänden grundsätzlich zu überarbeiten. Die allgemeine Zielvorgabe besteht darin, das Sanktionsverfahren effektiver und weniger missbrauchsanfällig zu gestalten. Dadurch soll einer Überlastung der Justizbehörden, für deren personelle Ausstattung und Budget die Länder verantwortlich sind, vorgebeugt werden.
Der Bundesrat will die Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft erheblich erweitern.
Nach dem Regierungsentwurf wären Eingriffe in das Postsende- und Fernmeldegeheimnis unzulässig. Der Bundesrat meint, dass insbesondere die Telefonüberwachung von Leitungspersonen zur Aufklärung erforderlich ist. Zur Begründung führt der Bundesrat an, dass in schriftlichen Unterlagen des Unternehmens (wie Protokollen von Vorstandssitzungen) die der Beschlagnahme unterliegen, Fehlverhalten häufig nicht dokumentiert werde.
Der Bundesrat fordert die Streichung des Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechts gesetzlicher Vertreter des Unternehmens. Es sei nicht angemessen die Aufklärung von Straftaten zu erschweren, nur weil dem Verband im Fall einer Aussage des Vertreters die Gefahr drohe, für eine Verbandstat verantwortlich gemacht zu werden.
Schließlich regt der Bundesrat an, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes um ein Jahr auf insgesamt drei Jahre nach seiner Verkündung zu verlängern. Dies soll es Unternehmen angesichts der andauernden Belastung durch die COVID-19-Pandemie erleichtern, interne Prozesse und das CMS anzupassen. Das VerSanG würde dann voraussichtlich im Laufe des Jahres 2024 in Kraft treten.