EuGH-Urteil: Morrison Foerster und FP Logue erreichen vollständige Neuordnung des europäischen Standardisierungssystems
EuGH-Urteil: Morrison Foerster und FP Logue erreichen vollständige Neuordnung des europäischen Standardisierungssystems
Morrison Foerster und FP Logue LLP haben heute vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) einen wichtigen Sieg für ihre Mandanten Public.Resource.Org, Inc. und Right to Know CLG errungen. Damit geht ein mehr als fünf Jahre dauernder Rechtsstreit zu Ende, bei dem es um grundlegende Fragen des freien Zugangs zu Gesetzen und harmonisierten Normen ging.
Die Kläger sind gemeinnützige Organisationen. Sie verfolgen das Ziel, Gesetzeswerke für alle Bürger frei zugänglich zu machen. Dazu zählen auch harmonisierte Normen, also technische Spezifikationen, die von einer der drei europäischen Normungsorganisationen (ESOs)[1] im Auftrag der EU-Kommission erstellt wurden. Harmonisierte Normen enthalten häufig wichtige Sicherungsanforderungen zum Schutz der Bevölkerung vor fehlerhaften Produkten (wie z.B. Spielzeug oder andere Verbrauchsgüter). Das verbindliche EU-Recht (also Verordnungen oder Richtlinien) bestimmt häufig nämlich nur abstrakt einige „grundlegende Anforderungen“, die solche Produkte einhalten müssen. Die technischen Details zur Erfüllung dieser „grundlegenden Anforderungen“ bleiben den harmonisierten Normen überlassen. Ohne deren Kenntnis wissen die EU-Bürger deshalb nicht, welche konkreten Anforderungen das EU-Recht an bestimmte Produkte stellt. Die relevanten Normwerke können aber in der Regel nur gegen Entgelt von den Normungsorganisationen bezogen werden können (in Deutschland etwa dem DIN).
Der aktuelle Rechtsstreit geht auf einen Antrag von Public.Resource.Org und Right to Know auf Dokumentenzugang gemäß der EU-Verordnung Nr. 1049/2001 zurück. Dabei ging es exemplarisch um die Offenlegung von vier verschiedenen harmonisierten Normen. Die EU-Kommission verweigerte den Zugang im Januar 2019 mit der Begründung, dass harmonisierte Normen urheberrechtlich geschützt seien. Die dagegen gerichtete Nichtigkeitsklage wurde im Juli 2021 vom Gericht erster Instanz abgewiesen (Rechtssache T-185/19).
Am 5. März 2024 hob die Große Kammer des EuGH das Urteil des Gerichts auf (Rechtssache C-588/21 P) und entschied, dass die EU-Kommission tatsächlich den beantragten Zugang zu den vier harmonisierten Normen gewähren muss. Der EuGH entschied, dass harmonisierte Normen Teil des EU-Rechts sind und deshalb (als Teil des EU-Rechts) nach dem Rechtsstaatsprinzip frei und kostenlos zugänglich sein müssen. Insoweit besteht also ein überwiegendes öffentliches Interesse am freien Zugang zu den harmonisierten Standards.
Das heutige Urteil hat große Auswirkungen weit über den konkreten Streitfall hinaus. Die EU-Kommission dürfte nun kostenlosen Zugang zu allen harmonisierten Normen gewähren müssen, da sie Teil des EU-Rechts sind. Dies wird eine vollständige Neuordnung des Europäischen Normungssystems erfordern. Die europäischen Normungsorganisationen, aber auch nationale Organisationen wie das DIN in Deutschland, werden von Unternehmen und Privatpersonen künftig daher nicht mehr verlangen können, harmonisierte Normen für viel Geld zu kaufen. Damit werden harmonisierte Normen als Teil des EU-Rechts endlich frei zugänglich sein.
Public.Resource.Org, Inc. und Right to Know CLG wurde gemeinsam von Morrison Foerster und FP Louge LLP (Managing Partner Fred Logue) vertreten. Federführend bei Morrison Foerster war Rechtsanwalt Dr. Jens Hackl, unterstützt von Partner Prof. Dr. Andreas Grünwald und Rechtsanwalt Christoph Nüßing. Weitere Informationen finden sich auf der EuGH-Webseite (Public.Resource.Org, Inc., Right to Know CLG gegen Europäische Kommission (C-588/21 P)).
Über Morrison Foerster
Morrison Foerster (MoFo) ist eine internationale Wirtschaftskanzlei, die 2013 ihr Büro in Deutschland eröffnet hat. Ein Team von mehr als 50 Anwältinnen und Anwälten arbeitet von Berlin aus an der Begleitung von nationalen und grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen und berät Mandanten zu Capital Markets, Commercial/ IP, Antitrust und Regulatory, Litigation, Finance, Real Estate, Tax, Employment und Data Protection. Das Team bietet besondere Expertise im IT-, Medien-, und Technologie-Sektor sowie für Private Equity, Venture Capital, Financial Service, Transport und Life Sciences. Im Jahr 1883 in San Francisco gegründet, beraten heute mehr als 1.000 Rechtsanwälte an 18 Standorten weltweit Technologie-, Life Science- und weitere führende Unternehmen, Finanzinstitute und Investmentbanken. Die Financial Times zeichnet die Sozietät regelmäßig in ihrem Innovative Lawyers Report aus. Morrison Foerster engagiert sich zudem seit vielen Jahren für gemeinnützige Zwecke und berät beispielsweise Pro Bono zu Menschen- und Bürgerrechten und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.
[1] Die drei ESOs sind: CEN (zuständig für die Normung in den meisten Sektoren), Comité européen de normalisation électrotechnique (CENELEC, Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung), das für die Normung im Bereich Elektrotechnik zuständig ist, und European Telecommunications Standards Institute (ETSI), das für die Normung im Bereich Information und Kommunikation verantwortlich ist.