Update Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht
Der EU Listing Act ist da! Deutliche Erleichterungen im Wertpapierprospektrecht und praxisrelevante Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung
Update Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht
Der EU Listing Act ist da! Deutliche Erleichterungen im Wertpapierprospektrecht und praxisrelevante Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung
Das ursprünglich am 7. Dezember 2022 durch die EU-Kommission vorgelegte Maßnahmenpaket, das unter dem Titel „EU Listing Act“ bekannt ist, wurde nun endlich im November 2024 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Der EU Listing Act umfasst
Ziel des Gesetzespakets ist es, die Notierung an europäischen Börsen und den Zugang zu kapitalmarktbasierten Finanzierungsquellen zu erleichtern, Bürokratie und Kosten zu verringern und damit die Kapitalmärkte insgesamt attraktiver zu gestalten.
Die Änderungsverordnung zur Änderung der ProspektVO, der MAR und der MiFIR ist am zwanzigsten Tag nach Veröffentlichung, und damit am 4. Dezember 2024, in Kraft getreten. Einige Regelungen sind allerdings erst 15 bzw. 18 Monate nach Inkrafttreten, d.h. ab dem 5. März bzw. 5. Juni 2026 anwendbar.
In unserem Client Alert stellen wir die wichtigsten Änderungen der Prospektverordnung (I.) und der Marktmissbrauchsverordnung (II.) vor.
Die ProspektVO bestimmt, dass ein Prospekt zu erstellen ist, wenn Wertpapiere öffentlich angeboten oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden sollen.[8] Schon bisher sah die ProspektVO Ausnahmen von dieser Prospektpflicht vor. Diese wurden nun durch den EU Listing Act modifiziert und deutlich ausgeweitet.
a) Erleichterungen bei Kapitalerhöhungen / Sekundäremissionen
Wesentliche Erleichterungen ergeben sich durch erweiterte Ausnahmen für Sachverhalte, in denen der Emittent bereits börsennotierte Wertpapiere begeben hat und nun erneut solche Wertpapiere anbieten oder zulassen möchte (sog. Sekundäremissionen). Ein wichtiger Anwendungsfall sind Kapitalerhöhungen börsennotierter Unternehmen.
Bislang galt, dass die Pflicht zur Erstellung eines Prospekts aufgrund einer Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt insbesondere dann entfällt, wenn die zuzulassenden Wertpapiere mit bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren fungibel sind und über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20 % der bereits zugelassenen Wertpapiere ausmachen. Eine entsprechende Ausnahme für öffentliche Angebote gab es nicht. Insofern mussten die Emittenten auf andere Ausnahmen, wie das Angebot an ausschließlich qualifizierte Anleger[9] oder eine Mindeststückelung der Wertpapiere von EUR 100.000, ausweichen.
NEU:
Der EU Listing Act ändert das bestehende System. Die künftig bestehenden Ausnahmen von der Prospektpflicht für Sekundäremissionen lassen sich in volumenbeschränkte und volumenunbeschränkte Ausnahmen unterteilen.
Die nachfolgend beschriebenen Prospektausnahmen gelten seit dem 4. Dezember 2024.
(i) Volumenbeschränkte Ausnahme von der Prospektpflicht
Die ProspektVO erlaubt künftig Wertpapiere ohne Prospekt sowohl öffentlich anzubieten als auch zuzulassen, sofern sie mit bereits zum Handel am selben regulierten Markt zugelassenen Wertpapieren fungibel sind und über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 30 %, der bereits zum Handel zugelassenen Wertpapiere, ausmachen.[10] Die oben dargestellte bisherige Ausnahme wird also sowohl im Umfang von 20 % auf 30 % als auch im Anwendungsbereich mit der Erstreckung auch auf öffentliche Angebote erweitert.
In Bezug auf öffentliche Angebote ist Folgendes zu berücksichtigen:
(ii) Volumenunbeschränkte Ausnahme von der Prospektpflicht
Wertpapiere, die mit Wertpapieren fungibel sind, die mindestens während der vorgegangenen 18 Monaten ununterbrochen an einem regulierten Markt zugelassen waren, können künftig unabhängig vom Transaktionsvolumen ohne Prospekterfordernis sowohl öffentlich angeboten als auch zugelassen werden.[12] Hintergrund ist, dass Emittenten solcher Wertpapiere laufenden Offenlegungspflichten unterliegen und der europäische Gesetzgeber daher davon ausgeht, dass ein Großteil des geforderten Inhalts eines Prospekts bereits öffentlich zugänglich ist.
Im Unterschied zur volumenbeschränkten Ausnahme ist bei der volumenunbeschränkten Ausnahme weder eine Zulassungsabsicht des Emittenten erforderlich, noch muss eine Zulassung am selben regulierten Markt erfolgen, an dem die bereits bestehenden Wertpapiere zugelassen sind. In Bezug auf öffentliche Angebote gilt diese Ausnahme wiederum auch, wenn die mindestens 18-monatige Notierung an einem KMU-Wachstumsmarkt besteht.
Auch bei dieser Prospektausnahme gilt, dass der Emittent sich nicht in einem Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahren befinden darf. Die Wertpapiere dürfen außerdem nicht im Zusammenhang mit einer Übernahme im Wege eines Tauschangebots, einer Verschmelzung oder einer Spaltung begeben werden (für letzteres galten schon bisher spezielle Ausnahmen[13]).
(iii) Zusammenfassungsdokument statt Prospekt
Um von einer der oben beschriebenen volumenbeschränkten oder volumenunbeschränkten Ausnahmen Gebrauch zu machen, hat der Emittent lediglich ein zusammenfassendes Dokument zu veröffentlichen. Bei der bloßen Zulassung von Wertpapieren unter Rückgriff auf die volumenbeschränkte Prospektausnahme ist ein solches Dokument dagegen nicht erforderlich.
Das zusammenfassende Dokument darf maximal elf Seiten umfassen. Sein Inhalt bestimmt sich nach Anhang IX der ProspektVO. Unter anderem ist eine Erklärung über die kontinuierliche Einhaltung der Melde- und Offenlegungspflichten, Angaben zu den Gründen der Emission und der Verwendung der Erlöse sowie zu den spezifischen Risikofaktoren des Emittenten zu machen. Das Dokument ist elektronisch an die BaFin zu übermitteln und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Eine Billigung durch die BaFin ist nicht erforderlich.
Praxishinweise:
b) Vereinheitlichung geltender Schwellen für kleinvolumige Transaktionen
Nach bisher geltendem Recht entfiel die Prospektpflicht bei öffentlichen Angeboten (nicht aber bei Zulassungen) mit einem Gesamtgegenwert von weniger als EUR 1 Mio., errechnet über einen Zeitraum von 12 Monaten.[14] Daneben hatten die Mitgliedsstaaten die Option, öffentliche Angebote von der Prospektpflicht auch dann auszunehmen, sofern der Gesamtgegenwert eines solchen Angebots EUR 8 Mio. über einen Zeitraum von 12 Monaten nicht überschreitet.[15] In Deutschland wurde dies durch § 3 WpPG umgesetzt. Innerhalb der EU führte diese Optionsmöglichkeit zu sehr unterschiedlichen Ausgestaltungen.
NEU:
Der EU Listing Act schafft diese beiden Schwellen nun ab und führt eine neue höhere Untergrenze ein, wonach öffentliche Angebote von der Prospektpflicht ausgenommen sind, sofern der (aggregierte) Gesamtgegenwert des Angebots über einen Zeitraum von 12 Monaten unterhalb der Schwelle von EUR 12 Mio. bleibt.[16]
Unterhalb dieser Schwelle können die Mitgliedstaaten weiterhin zusätzliche nationale Veröffentlichungspflichten vorsehen, sofern diese nicht über die Anforderungen an eine Prospektzusammenfassung hinausgehen.[17] Aktuell sieht § 4 WpPG für öffentliche Angebote von EUR 100.000 bis EUR 8 Mio. (wiederum über 12 Monate) die Notwendigkeit der Veröffentlichung eines Wertpapier-Informationsblatts vor.
Diese Änderungen gelten ab dem 5. Juni 2026.
Können oder sollen die neuen Prospektausnahmen bei Sekundäremissionen nicht in Anspruch genommen werden (z.B. weil die neuen Wertpapiere nicht mit den bereits zugelassenen Wertpapieren fungibel sind oder weil sich die Gesellschaft in einer Übernahmesituation oder Insolvenz befindet), können Emittenten, deren Wertpapiere bereits seit mindestens 18 Monate zum Handel an einem beliebigen regulierten Markt oder einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind, von einem vereinfachten Prospekt in Form des neu eingeführten EU-Folgeprospekt profitieren.[18] Der EU-Folgeprospekt steht sowohl für öffentliche Angebote als auch für Zulassungen zur Verfügung.[19]
Für ein EU-Folgeprospekt, der sich auf Aktien bezieht, gilt eine Seitenbegrenzung von maximal 50 Seiten.[20] Die gegenüber einem „normalen“ Wertpapierprospekt reduzierten inhaltlichen Anforderungen ergeben sich aus den Anhängen IV und V der ProspektVO n.F. Die BaFin hat das EU-Folgeprospekt grundsätzlich in sieben statt in den sonst regulären zehn Arbeitstagen zu prüfen.[21]
Der neu eingeführte EU-Folgeprospekt wird ab dem 5. März 2026 anwendbar sein. Bis dahin bleibt der vereinfachte Prospekt gem. Art. 14 ProspektVO weiter anwendbar.
Soweit noch ein Prospekt erforderlich ist, regelt der EU Listing Act wesentliche Aspekte des Formats und des Inhalts von Prospekten neu. Diese Änderungen gelten insbesondere auch bei Primäremissionen (z.B. Börsengänge).
Zu begrüßen ist, dass die ProspektVO Ausnahmen von der Seitenbegrenzung sowie von den Formatvorgaben für Zulassungsprospekte macht, wenn gleichzeitig ein Angebot in einem Drittstaat erfolgt, das ebenfalls ein Angebotsdokument voraussetzt.[25] Damit ist insbesondere bei Börsengängen und Kapitalerhöhungen, bei denen auch US-Investoren nach Rule 144A des U.S. Securities Act von 1933 angesprochen werden sollen, weiterhin ein einheitliches Prospekt bzw. Angebotsdokument möglich, das den verschiedenen inhaltlichen Anforderungen gerecht wird.
Weitere Änderungen in Bezug auf den Prospektinhalt umfassen Folgendes:
Die neuen Anforderungen an Prospektformat und -inhalt gelten erst ab dem 5. Juni 2026.
Im Hinblick auf die Mindestangebotsfrist und die Mindestanforderung an den Streubesitz (free float) wurden auch die Voraussetzungen für einen Börsengang vereinfacht.
Der Zugang von KMUs zu öffentlichen Märkten soll durch den neuen EU-Wachstumsemissionsprospekt gefördert werden.[31] Dabei sind die formellen und inhaltlichen Anforderungen des EU-Wachstumsemissionsprospekts gegenüber einem „normalen“ Prospekt reduziert[32] und, wenn er sich auf Aktien bezieht, auf 75 Seiten begrenzt, wobei die oben genannten Ausnahmen von der Seitenbegrenzung auch hier gelten.[33]
Der EU-Wachstumsemissionsprospekt steht folgenden Unternehmen zur Verfügung:
Weitere Voraussetzung ist jeweils, dass der Emittent keine Wertpapiere begeben hat, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurden.[35] Zu beachten ist außerdem, dass das EU-Wachstumsemissionsprospekt nur für öffentliche Angebote von Wertpapieren verwendet werden kann und nicht auch für die Börsenzulassung an einem EU-regulierten Markt.
Der EU-Wachstumsemissionsprospekt ist ab dem 5. März 2026 anwendbar.
Praxishinweis:
Der EU Listing Act enthält auch Änderungen an der MAR.
Directors Dealings
Bereits seit dem 4. Dezember 2024 gelten neue Ausnahme vom Handelsverbot während der sog. Closed Periods. Dies betrifft Geschäfte oder Handelstätigkeiten, die keine aktiven Anlageentscheidungen der Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt, umfassen oder die ausschließlich auf externe Faktoren oder Handlungen Dritter zurückzuführen sind, oder bei denen es sich um Geschäfte oder Handelstätigkeiten, einschließlich der Ausübung von Derivaten, auf der Grundlage im Voraus festgelegter Bedingungen handelt.[37]
Adhoc Meldepflichten
Ab dem 5. Juni 2026 wird die Pflicht zur unverzüglichen Offenlegung von Zwischenschritten entfallen.[38] Die praktischen Auswirkungen der Neuregelung sind derzeit noch umstritten. Insbesondere muss sich noch zeigen, ob damit tatsächlich die beabsichtigte Reduzierung des Verwaltungsaufwands erreicht werden kann, da während dieser Zeit weiterhin die Geheimhaltung zu gewährleisten ist und wohl auch zukünftig Selbstbefreiungsbeschlüsse notwendig sein werden, um Ereignisse nicht schon vor deren tatsächlichem Eintritt per Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichen zu müssen.
[1] Verordnung (EU) 2024/2809.
[2] Verordnung (EU) 2017/1129.
[3] Verordnung (EU) Nr. 596/2014.
[4] Verordnung (EU) Nr. 600/2014.
[5] Richtlinie (EU) 2024/2811.
[6] Richtlinie 2014/65/EU.
[7] Richtlinie (EU) 2024/2810.
[8] Art. 3 Abs. 1 ProspektVO.
[9] Qualifizierte Anleger sind solche nach Anhang II Abschnitt I und II der MiFID II, also professionelle Kunden oder geeignete Gegenparteien.
[10] Art. 1 Abs. 4 lit. da) und Abs. 5 UAbs. 1 lit. a) ProspektVO n.F.
[11] In Deutschland z.Zt. nur das Scale-Segment des Freiverkehrs der Frankfurter Wertpapierbörse.
[12] Art. 1 Abs. 4 lit. db) und Abs. 5 UAbs. 1 lit. ba) ProspektVO n.F.
[13] Art. 1 Abs. 4 lit. f) und Abs. 5 UAbs. 1 lit. e) und f) ProspektVO.
[14] Art. 1 Abs. 3 UAbs. 1 ProspektVO a.F.
[15] Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 lit. b) ProspektVO a.F.
[16] Art. 3 Abs. 2 lit. b) ProspektVO n.F.: Mitgliedsstaaten können von dieser neuen Schwelle abweichen und eine Prospektpflicht bereits ab einem Gesamtgegenwert von EUR 5 Mio. über einen Zeitraum von 12 Monaten vorsehen; da der deutsche Gesetzgeber schon bisher die Höchstgrenze von EUR 8 Mio. übernommen hat, ist nicht zu erwarten, dass er die Schwelle reduzieren wird.
[17] Art. 3 Abs. 2d ProspektVO n.F.
[18] Art. 14a Abs. 1 UAbs. 1 ProspektVO n.F.
[19] Der EU-Folgeprospekt ersetzt den vereinfachten Prospekt nach Art. 14 ProspektVO a.F. und den pandemiebedingt eingeführten Wiederaufbauprospekt gem. Art. 14a ProspektVO a.F., der am 31. Dezember 2022 ausgelaufen ist.
[20] Art. 14a Abs. 5 ProspektVO n.F.
[21] Art. 20 Abs. 6a ProspektVO n.F.
[22] Art. 6 Abs. 4 ProspektVO n.F.
[23] Vgl. Art. 13 Abs. 1 ProspektVO n.F.
[24] Vgl. Art. 6 Abs. 7 und Abs. 8 ProspektVO n.F.
[25] Art. 6 Abs. 6 ProspektVO n.F.
[26] Anhang I Abschn. IV. ProspektVO n.F.
[27] Art. 7 Abs. 5 UAbs. 2 lit. g) ProspektVO n.F.
[28] Verordnung (EU) 2020/852.
[29] Art. 7 Abs. 6 lit. a) Ziff. vi ProspektVO n.F.
[30] Anhang I Abschn. XI. ProspektVO n.F.
[31] Der EU-Wachstumsemissionsprospekt gem. Art. 15a ProspektVO n.F. löst den EU-Wachstumsprospekt gem. Art. 15 ProspektVO ab.
[32] Vgl. Anhänge VII und VIII der ProspektVO n.F
[33] Art. 15a Abs. 5, 6 ProspektVO n.F.
[34] Multilaterales Handelssystem (“multilateral trading facility”), vgl. Art. 2 lit. u) ProspektVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 MiFID II.
[35] Art. 15a Abs. 1 UAbs. 1 ProspektVO n.F.
[36] § 48 Abs. 3 Satz 2 BörsG.
[37] Art. 19 Abs. 12a MAR n.F.
[38] Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 MAR n.F.