„Berliner Mietendeckel“ nichtig
„Berliner Mietendeckel“ nichtig
Das im Februar 2020 verkündete Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin, oft auch einfach als „Mietendeckel-Gesetz“ bezeichnet, ist nichtig. So hat es das Bundesverfassungsgericht heute entschieden. Damit gelten alle Regelungen des Gesetzes, insbesondere der Mietenstopp, als von Anfang an nicht existent. Auf Vermieter wie Mieter kommen Rückzahlungen von bisher aufgrund des "Mietendeckels" nicht gezahlten Mieten sowie aufgeschobene Mieterhöhungen zu.
Das von der rot-rot-grünen Landesregierung im Jahr 2019 auf den Weg gebrachte Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG), Grundlage des in den letzten Monaten viel besprochenen „Mietendeckels“, ist vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts mit seinem heutigen Beschluss für nichtig erklärt worden. Das Gericht hat dabei im Kern argumentiert, dass dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz fehlte, um in die Mietpreisgestaltung zwischen Mieter und Vermieter einzugreifen, da der Bund insofern durch die Regelungen zum Mietpreisrecht in §§ 556-561 BGB bereits von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hatte. Da es sich beim Mietrecht um einen Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung handelt, führt eine bestehende Regelung durch den Bund dazu, dass Länder in derselben Materie keine wirksamen Regelungen mehr treffen können.
Dass das Gericht das Gesetz für insgesamt nichtig erklärt hat, bedeutet grundsätzlich, dass der Zustand gelten soll, der bestanden hätte, wenn es das Gesetz niemals gegeben hätte. Konkret kommen dadurch auf Mieter, deren Miete aufgrund des MietenWoG abgesenkt wurde, unter Umständen empfindliche Nachzahlungen für die in den vergangenen Monaten nur reduziert gezahlten Mieten zu. Auch können Vermieter Erhöhungen, die sie aufgrund des MietenWoG nicht durchgeführt haben, im Rahmen der Grenzen der §§ 557 ff. BGB nun nachholen.
Auf zum Teil rapide steigende Mietpreise für Wohnraum in einigen Lagen Berlins reagierte die rot-rot-grüne Landesregierung unter Federführung der damaligen Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher von Der Linken im Juni 2019 mit der Vorlage eines Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen. Das Gesetz wurde nach intensiven öffentlichen Debatten am 30. Januar 2020 vom Abgeordnetenhaus beschlossen und trat am 23. Februar 2020 in Kraft. Es sah im Kern drei Instrumente vor, mit denen steigenden Mietpreisen begegnet werden sollte: zunächst einen „Mietenstopp“, nach dem es Vermietern von Wohnraum, der vor 2014 erstmals bezugsfertig war, verboten sein sollte, die Mieten über den Stand vom 18. Juni 2019 hinaus zu erhöhen; zweitens absolute Mietobergrenzen, die nicht überschritten werden durften; drittens eine bußgeldbewehrte Pflicht der Vermieter, dieMieter über die nach den ersten beiden Instrumenten zulässige Miete zu informieren und die Miete gegebenenfalls entsprechend abzusenken. Hinzu kamen sehr begrenzte Möglichkeiten der Mietanpassung für Inflationsausgleich und Modernisierungen.
Die Regelungen waren seit den ersten Entwürfen Gegenstand kontroverser öffentlicher und politischer Diskussionen. Auch juristisch war umstritten, ob und in welchem Umfang die Regelungen des Berliner MietenWoG Bestand haben konnten, insbesondere ob sie mit dem Grundgesetz vereinbar waren. Einen Eilantrag gegen das Gesetz hatte das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Oktober abgelehnt. Über die Normenkontrollanträge der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion im Bundestag sowie konkrete Normenkontrollanträge, unter anderem des Landgerichts Berlin, hat der Zweite Senat des Gerichts heute mit 7 zu 1 Stimmen (im Ergebnis einstimmig) entschieden:
Das MietenWoG ist insgesamt verfassungswidrig und nichtig. Das Gericht argumentiert in seinem heutigen Beschluss, dass dem Landesgesetzgeber in Berlin schon die Gesetzgebungskompetenz fehlte, um das MietenWoG zu erlassen. Da es sich bei den Regelungen, die das MietenWoG treffe, um solche handele, die der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 72 Abs. 1 GG unterfallen, wäre das Land Berlin nur dann gesetzgebungsbefugt gewesen, wenn nicht der Bundesgesetzgeber zuvor bereits umfassend und abschließend von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht hätte. Dies hat er aber nach Auffassung des Gerichts seit dem Mietrechtsreformgesetz vom 9. Juni 2001 und zuletzt durch das Mietrechtsnovellierungsgesetz vom 21. April 2015 wiederholt getan, indem er in den §§ 556 bis 561 BGB umfassende und abschließende Regelungen zum Mietpreisrecht getroffen hat. Der von Befürwortern des MietenWoG wiederholt vorgetragenen Ansicht, dass sich die Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG oder gar aus Art. 70 Abs. 1 GG ergebe, hat das Gericht eine Absage erteilt. Auf die Prüfung der weiteren Frage, ob das Gesetz auch unverhältnismäßig in das Grundrecht auf Eigentum eingreift, hat es in seinem Beschluss verzichtet.
Wird ein Gesetz vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt, so entfaltet diese Entscheidung auch Wirkung für die Vergangenheit. Es wird damit der rechtliche Zustand hergestellt, der bestanden hätte, wenn das nichtige Gesetz niemals erlassen worden wäre. Daraus ergeben sich für Vermieter wie für Mieter von Wohnraum, der zuvor durch das MietenWoG erfasst war, unter Umständen weitreichende Konsequenzen. Nicht zuletzt können Vermieter nun die Zahlungsrückstände, die durch die Absenkungen durch das MietenWoG entstanden sind, von den Mietern nachfordern. Auch können sie im Rahmen der allgemeinen rechtlichen Schranken Zustimmung zu Mieterhöhungen verlangen, die während der Geltung des MietenWoG nicht möglich waren. Schließlich sind Neuvermietungen nun wieder zu marktüblichen Preisen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben möglich; ebenso die Umlage von Modernisierungsmaßnahmen.
Für Vermieter ergeben sich – je nach individueller Situation – Möglichkeiten nicht vollständig gezahlte Mieten nachzufordern sowie Potentiale zur Erhöhung von bestehenden Mieten. Auch bei Neuvermietungen sind die Vermieter nun nicht mehr durch die Vorgaben des MietenWoG gebunden. Für Mieter gilt spiegelbildlich, dass sie sich auf Nachforderungen und Mieterhöhungen einstellen müssen. In welchem Umfang dies geschehen wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen: Deutschlands größter Vermieter Vonovia hat mitgeteilt, auf Nachforderungen zu verzichten.