Bundesregierung einigt sich auf Gesetz zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen
Bundesregierung einigt sich auf Gesetz zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen
Das Bundeskabinett hat am 3. März 2021 den Entwurf eines Gesetzes über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten („Sorgfaltspflichtengesetz“ oder „Lieferkettengesetz“) beschlossen („Regierungsentwurf“). Der Regierungsentwurf wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung („BMZ“) und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales („BAS“) nach Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“) vorgelegt. Geplant ist eine Verabschiedung durch die Legislative noch im Sommer 2021. Das Sorgfaltspflichtengesetz würde am 1. Januar 2023 in Kraft treten.
Wesentliche Inhalte des Sorgfaltspflichtengesetzes wären insbesondere die folgenden Regelungen:
Das Gesetzesvorhaben hätte – ähnlich wie das geplante Verbandssanktionengesetz (siehe dazu unseren Client Alert vom 25. September 2020) – weitreichende Auswirkungen auf die Sorgfaltspflichten von Unternehmen und ihre Risikomanagement- und Compliance-Systeme.
Andere europäische Länder haben zum Teil bereits Gesetze eingeführt, die in Teilbereichen ähnliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen begründen. Parallel zum deutschen Gesetzgebungsverfahren arbeitet die Europäische Union („EU“) an einer europäischen Regelung. Nach Vorstellungen des EU-Kommissars für Justiz und Rechtstaatlichkeit, Didier Reynders, und des Europäischen Parlaments, welches nicht bindende Eckpunkte einer EU-Richtlinie formuliert hat, soll die EU-Richtlinie noch weitreichendere Pflichten begründen und für eine weitaus größere Zahl von Unternehmen gelten. Nach aktuellem Zeitplan soll die EU-Richtlinie im Jahr 2024 verabschiedet werden. Anschließend wäre sie von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen.
Die Einführung eines Sorgfaltspflichtengesetzes war im Koalitionsvertrag vereinbart worden.
Die Resonanz auf den nunmehr vorliegenden Regierungsentwurf fällt differenziert aus. Während einzelne Unternehmen das Gesetzesvorhaben grundsätzlich begrüßen, üben vor allem einige Wirtschaftsverbände starke Kritik. Nichtregierungsorganisationen geht der Regierungsentwurf nicht weit genug. Es ist möglich, dass der Regierungsentwurf im parlamentarischen Verfahren Änderungen erfahren wird.
Einer der Auslöser des Gesetzesvorhabens sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (sog. Ruggie Principles) und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Der Regierungsentwurf betont die Verantwortung Deutschlands aufgrund der hohen internationalen Verflechtung seiner Wirtschaft, auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage entlang von Lieferketten hinzuwirken. Zwar liege die Verantwortung für die Achtung, den Schutz und die Einhaltung der Menschenrechte grundsätzlich bei den Staaten. Daneben trete jedoch die Verantwortung der Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte.
Das Sorgfaltspflichtengesetz würde gelten für
Der Anwendungsbereich soll ab dem 1. Januar 2024 auf Unternehmen ab 1.000 Arbeitnehmern ausgedehnt werden (§ 1 (1) S. 2 Sorgfaltspflichtengesetz).
Das Sorgfaltspflichtengesetz definiert den Begriff der „Lieferkette“ weit. Die Lieferkette umfasst (§ 2 (5) Sorgfaltspflichtengesetz)
Die unternehmerischen Sorgfaltspflichten sind im Schwerpunkt auf arbeitsbezogene menschenrechtliche Risiken ausgerichtet. Der Natur- und Umweltschutz wird hauptsächlich, aber nicht nur, aus menschenrechtlicher Perspektive erfasst.
§ 2 (1)-(4) Sorgfaltspflichtengesetz benennt als menschenrechtliche Risiken Situationen, in denen Verstöße gegen insbesondere die folgenden Verbote drohen:
(zusammen „Menschenrechte“).
Unternehmen müssen „menschenrechtliche“ Sorgfaltspflichten einhalten (§ 3 (2) Sorgfaltspflichtengesetz). Nach der gesetzgeberischen Konzeption handelt es sich hierbei um eine neuartige Kategorie unternehmerischer „Bemühenspflichten“. Unternehmen soll keine „Erfolgspflicht“ treffen. Das bedeutet, sie müssen nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten keine Menschenrechte oder umweltbezogenen Pflichten verletzt werden. Sie müssen jedoch nachweisen können, dass sie die gesetzlich definierten Sorgfaltspflichten in einer Weise umgesetzt haben, die mit Rücksicht auf die individuelle Situation des jeweiligen Unternehmens angemessen und praktikabel ist. Welche Maßnahmen angemessen sind, müssen die Unternehmen grundsätzlich in eigener Verantwortung beurteilen. Zu einzelnen Themenbereichen sind Präzisierungen durch behördliche Handreichungen sowie Verordnungen zu erwarten (§§ 9 (4), 14 (2), 20 Sorgfaltspflichtengesetz).
Der Umfang der zu ergreifenden Maßnahmen soll ferner davon abhängen, wie groß die Einflussmöglichkeiten des Unternehmens auf die im Einzelfall bestehenden menschenrechtlichen Risiken oder Verletzungen sind. Grundsätzlich gilt: Je näher Unternehmen mit etwaigen problematischen Situationen konfrontiert sind, desto mehr Maßnahmen würden ihnen abverlangt. Entsprechendes gilt, je schwerer bzw. wahrscheinlicher eine Verletzung von Menschenrechten ist.
Das Sorgfaltspflichtengesetz begründet primär eine Verantwortung der Unternehmen für ihren eigenen Geschäftsbereich sowie im Verhältnis zu unmittelbaren Zulieferern. Im Hinblick auf mittelbare Zulieferer sind lediglich anlassbezogen im Rahmen des Risikomanagements reduzierte Sorgfaltspflichten zu beachten (§ 9 Sorgfaltspflichtengesetz).
Von zentraler Bedeutung sind insbesondere folgende Sorgfaltspflichten:
Unternehmen müssen ein angemessenes und wirksames Risikomanagement einrichten und dieses durch organisatorische Maßnahmen einschließlich klarer Zuständigkeiten in den betrieblichen Abläufen verankern (§ 4 Sorgfaltspflichtengesetz). Ziel ist es, menschenrechtliche Risiken zu erkennen, die Verletzung geschützter Rechtspositionen zu verhindern oder jedenfalls zu beenden und zu minimieren.
Teil des Risikomanagements ist die angemessene Risikoanalyse zur Ermittlung der Risiken für die geschützten Rechtspositionen im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern (§ 5 Sorgfaltspflichtengesetz). Die Risikoanalyse muss mindestens jährlich erfolgen. Das Ergebnis muss an die Geschäftsführung kommuniziert werden.
Unternehmen müssen eine Grundsatzerklärung zu ihrer Menschenrechtsstrategie verabschieden, aus der u.a. ersichtlich sein muss, wie das Unternehmen seinen Pflichten nachkommt und welche Risiken es festgestellt hat (§ 6 Sorgfaltspflichtengesetz).
Zudem muss das Unternehmen angemessene Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern ergreifen, zum Beispiel in Form von Schulungen, risikobasierten Kontrollmaßnahmen oder vertraglicher Zusicherungen betreffend die Einhaltung menschenrechtlicher Standards (§ 6 Sorgfaltspflichtengesetz).
Stellt das Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich oder bei unmittelbaren Zulieferern fest, dass eine Verletzung menschenrechtlicher Standards eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, muss es Abhilfemaßnahmen zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung ergreifen (§ 7 (1) Sorgfaltspflichtengesetz). Abhängig von der Schwere des Verstoßes und bei mangelndem Erfolg von Abhilfemaßnahmen kann das Unternehmen sogar zum Abbruch der Geschäftsbeziehung verpflichtet sein (§ 7 (2), (3) Sorgfaltspflichtengesetz).
Unternehmen müssen ein unparteiisches Beschwerdeverfahren einrichten, dass ihnen Hinweise auf menschenrechtliche Risiken und Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich, bei unmittelbaren Zulieferern sowie mittelbaren Zulieferern zur Kenntnis bringt (§§ 8 (1), 9 (1) Sorgfaltspflichtengesetz). Die Vertraulichkeit der Identität und der Schutz vor Benachteiligung oder Bestrafung muss zugunsten der Nutzer gewährleistet sein (§ 8 (4) Sorgfaltspflichtengesetz).
Im Hinblick auf mittelbare Zulieferer definiert § 9 Sorgfaltspflichtengesetz neben der Einbeziehung von Meldungen in das Beschwerdeverfahren spezielle Sorgfaltspflichten. Erlangt ein Unternehmen substantiierte Kenntnis über eine mögliche Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern, muss es anlassbezogen u.a. eine Risikoanalyse durchführen, angemessene Präventionsmaßnahmen ergreifen und ein Konzept zu Minimierung und Vermeidung der Verletzung erstellen und umsetzen (§ 9 (3) Sorgfaltspflichtengesetz).
Die Unternehmen werden verpflichtet, die Erfüllung der Sorgfaltspflichten fortlaufend zu dokumentieren (§ 10 Sorgfaltspflichtengesetz). Sie müssen in einem öffentlich zugänglichen Bericht darlegen, welche menschenrechtlichen Risiken identifiziert und welche Abhilfemaßnahmen vorgenommen wurden (§ 10 (2)-(4) Sorgfaltspflichtengesetz).
Für die Durchsetzung des Sorgfaltspflichtengesetzes soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle („BAFA“) zuständig sein. Es hat die Einhaltung der Pflichten zu überwachen und kann bei Verstößen gegebenenfalls Bußgelder verhängen (§§ 12 ff. Sorgfaltspflichtengesetz). Das BAFA erhält dazu eigene Ermittlungsbefugnisse (zum Beispiel Durchsuchung oder Beschlagnahme).
Das Sorgfaltspflichtengesetz definiert eine Vielzahl neuer Ordnungswidrigkeitentatbestände (§ 24 Sorgfaltspflichtengesetz). Der Bußgeldrahmen ist nach Art des Verstoßes gestaffelt. Grundsätzlich können Bußgelder von bis zu EUR 800.000 verhängt werden. Für juristische Personen und Personenvereinigungen ist der Bußgeldrahmen für bestimmte Ordnungswidrigkeiten erhöht, so dass Bußgelder von bis zu EUR 8 Mio. verhängt werden können (§ 24 (2) Sorgfaltspflichtengesetz in Verbindung mit § 30 (2) Satz 3 OWiG). Liegt der durchschnittliche Jahresumsatz des Unternehmens über EUR 400 Mio. könnten im Einzelfall sogar Bußgelder in Höhe von bis zu zwei Prozent des weltweiten durchschnittlichen Jahresumsatzes der wirtschaftlichen Einheit (einschließlich Konzernunternehmen) verhängt werden (§ 24 (3) Sorgfaltspflichtengesetz).
Nach allgemeinen Regeln des Ordnungswidrigkeitenrechts könnten im Fall von Verstößen ferner etwaige aus ordnungswidrigem Verhalten stammende wirtschaftliche Vorteile abgeschöpft werden (§§ 30 (3), 17 (4) OWiG).
Abhängig von der Höhe der Geldbuße können Unternehmen bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden (§ 22 Sorgfaltspflichtengesetz).
Das Sorgfaltspflichtengesetz enthält keine Sonderregelungen bezüglich des auf etwaige zivilrechtliche Ansprüche anwendbaren Rechts oder der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Geschädigte Personen, die in einer überragend wichtigen Rechtsposition verletzt sind, erhalten jedoch die Möglichkeit, eine inländische Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation zur gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche in Deutschland zu ermächtigen (§ 11 Sorgfaltspflichtengesetz). Mit der gesetzlichen Anerkennung dieser besonderen Prozessstandschaft würde sich das Risiko menschenrechtsbezogener Zivilklagen gegen deutsche Unternehmen grundsätzlich erhöhen.
Ob das Sorgfaltspflichtengesetz im weiteren Gesetzgebungsverfahren Änderungen erfahren und ggf. die erforderlichen Mehrheiten gewinnen wird, ist gegenwärtig offen. Es sind intensive Diskussionen zu erwarten. In Anbetracht der bereits in anderen europäischen Ländern existierenden Regelungen sowie der Bestrebungen auf EU-Ebene, Sorgfaltspflichten bezüglich internationaler Lieferketten stärker zu regulieren, sollte die Geschäftsführung das interne Risikomanagement in diesem Bereich laufend überwachen und gegebenenfalls neuen Anforderungen anpassen.
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