Update Kapitalmarktrecht: Änderung der Marktmissbrauchsverordnung
Update Kapitalmarktrecht: Änderung der Marktmissbrauchsverordnung
Erstmals seit Inkrafttreten der Marktmissbrauchsverordnung („MAR“) im Juli 2016 sind zum 1. Januar 2021 Änderungen der MAR in Kraft getreten, die praxisrelevante Erleichterungen für Emittenten bringen, insbesondere für solche im Segment Scale.
Vorrangiges Ziel ist es, die Begebung von Anleihen und die Ausgabe von neuen Aktien für KMUs zu erleichtern (KMU-Wachstumsmarktverordnung[1]). Außerdem soll für KMUs der Verwaltungsaufwand für notwendige Offenlegungen und Compliance gesenkt werden. Die Erleichterungen sollen für alle Unternehmen gelten, welche an einem sog. KMU-Wachstumsmarkt notiert sind („KMU-Emittenten“). In Deutschland betrifft dies aktuell nur das Freiverkehrssegment „Scale“ der Frankfurter Wertpapierbörse, also nicht Emittenten die im regulierten Markt notiert sind.
In diesem Zusammenhang werden allerdings auch einige Vorgaben geändert, die für alle börsennotierten Gesellschaften Erleichterungen bringen. Dies betrifft insbesondere die Korrektur der Frist zur Veröffentlichung von Directors’ Dealings-Mitteilungen sowie Erleichterungen bei Anleihebegebungen.
In den nachstehenden Ziffern 1 und 2 stellen wir kurz die Neuerungen vor, die auch für im regulierten Markt notierte Emittenten gelten. Unter den Ziffern 3 bis 5 stellen wir dann die Erleichterungen für die KMU-Emittenten dar:
Emittenten haben Meldungen über Eigengeschäfte von Führungskräften sowie diesen nahestehenden Personen ab dem 1. Januar 2021 spätestens zwei Geschäftstage nach Erhalt (!) der Meldung zu veröffentlichen.
Bisher bestand für solche Meldungen ein Gleichlauf einer Dreitagesfrist sowohl für den Meldepflichtigen als auch für den Emittenten, die jeweils ab Abschluss des Geschäfts zu laufen begann. Dadurch erwies es sich für Emittenten bei sehr spät erhaltenen Meldungen in Einzelfällen als schwierig oder gar unmöglich, diese noch rechtzeitig zu veröffentlichen.
Dieser Fehler wurde nunmehr korrigiert. Die neue Veröffentlichungsfrist von zwei Geschäftstagen beginnt erst nach Erhalt der Meldung zu laufen, so dass Emittenten in jedem Fall zwei Geschäftstage für die Veröffentlichung haben (Artikel 19 Absatz (3) Unterabs. (1) MAR). Die Frist für den Meldepflichtigen ändert sich nicht und beträgt weiterhin drei Geschäftstage ab dem Datum des jeweiligen Geschäfts.
Bei privaten Anleiheplatzierungen an qualifizierte Anleger besteht keine Notwendigkeit mehr, die aufwendigen Vorgaben der Marktsondierung gemäß Artikel 11 MAR zu beachten.
Die Absicht der Begebung einer Anleihe kann – abhängig vom geplanten Volumen – eine Insiderinformation darstellen. Damit ist die Ansprache von potentiellen Investoren im Vorfeld der Anleihebegebung insiderrechtlich problematisch. Mit dem in Artikel 11 MAR geregelten Marktsondierungsverfahren stellt der Gesetzgeber ein Verfahren zur Verfügung, mit dem rechtmäßig Insiderinformationen weitergegeben werden können, um das potenzielle Interesse von Anlegern an der beabsichtigten Transaktion abschätzen zu können. Dieses Verfahren ist jedoch sehr aufwendig und die damit verbundenen Kosten werden gerade von kleinen und mittleren Unternehmen gescheut.
Der Gesetzgeber erkennt nunmehr an, dass die Übermittlung von Informationen an qualifizierte Anleger bei privaten Anleihebegebungen in der Praxis oft der Strukturierung und Sicherung der vollständigen Durchführung dienen und nicht darauf abzielen, für ein bereits im Voraus festgelegtes Geschäft das Interesse potenzieller Anleger abzuschätzen.
Daher stellt der Gesetzgeber nunmehr klar, dass die Ansprache von qualifizierten Anlegern im Rahmen einer privaten Anleiheemission, die der Aushandlung der vertraglichen Bedingungen dient, keine Marktsondierung ist (Artikel 11 Absatz (1a) Satz 1 MAR).
Die Rechtmäßigkeit der Ansprache und damit auch der Offenlegung der Absicht über die Anleihebegebung wird in solchen Fällen durch eine gesetzliche Fiktion hergestellt (Artikel 11 Absatz (1a) Satz 2 MAR). Diese Weitergabe „gilt“ nämlich „als im Zuge der normalen Ausübung der Beschäftigung oder des Berufs oder der normalen Erfüllung der Aufgaben einer Person vorgenommen“ und stellt somit eine zulässige Ausnahme vom Verbot der Weitergabe von Insiderinformationen gemäß Artikel 10 Absatz (1) MAR dar. Hierbei muss der Emittent sicherstellen, dass die qualifizierten Anleger, die Insiderinformationen erhalten, die aus den Rechts- und Verwaltungsvorschriften erwachsenden Pflichten kennen und diese schriftlich anerkennen. Der Gesetzgeber geht damit davon aus, dass im Ergebnis der Abschluss einer angemessenen Vertraulichkeitsvereinbarung erforderlich ist (Erwägungsgrund 6 der KMU-Wachstumsmarktverordnung).
Diese Ausnahme gilt für alle börsennotierten Unternehmen.
Praxistipp
Emittenten, deren Finanzinstrumente zum Handel an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind, können mit einem Dienstleister einen Vertrag zur Erhöhung der Liquidität abschließen, ohne dass dies eine Marktmanipulation darstellt.
Mit einem Liquiditätsvertrag verpflichtet sich ein Dienstleister gegenüber einem Emittenten, im Namen des Emittenten Liquidität für dessen Finanzinstrumente (insbesondere Aktien und Anleihen) bereitzustellen.
Da Kauf und Verkauf von Aktien durch oder für Rechnung eines Emittenten eine unzulässige Marktmanipulation darstellen können, sind solche Liquiditätsverträge problematisch. Die Marktmissbrauchsverordnung lässt solche Verträge jedoch zu, sofern eine entsprechende Marktpraxis von der nationalen Aufsichtsbehörde anerkannt wurde (Artikel 13 MAR). Für Deutschland ist dies aktuell nicht der Fall. Für Emittenten mit einer Notierung im regulierten Markt besteht daher weiterhin keine Möglichkeit zum Abschluss solcher Liquiditätsverträge. Für KMU-Emittenten stellt diese Änderung jedoch eine neue Möglichkeit dar, die Liquidität ihrer an einem KMU-Wachstumsmarkt gehandelten Aktien zu erhöhen.
Dabei sind jedoch Vorgaben zu beachten, die in Artikel 13 MAR in einem neuen Absatz 12 aufgelistet sind. Insbesondere ist der Liquiditätsvertrag nach einem Vertragsmuster der ESMA zu erstellen.
Praxistipp
KMU-Emittenten müssen zukünftig bei einem Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen der BaFin nur auf Verlangen die Gründe dafür übermitteln.
Nach Artikel 17 Absatz (4) MAR können Emittenten beschließen, die Offenlegung von Insiderinformationen für die Öffentlichkeit aufzuschieben, (i) wenn diese geeignet wäre, die berechtigten Interessen der Emittenten zu beeinträchtigen, (ii) wenn die Aufschiebung der Offenlegung nicht geeignet wäre, die Öffentlichkeit irrezuführen und (iii) wenn Emittenten die Geheimhaltung dieser Informationen sicherstellen. Bisher müssen alle Emittenten dies der zuständigen Behörde bei Veröffentlichung der Insiderinformation mitteilen sowie eine schriftliche Erläuterung mit den Gründen für ihre Entscheidung abgeben.
Nach dem in Artikel 17 Absatz (4) MAR neu eingefügten Unterabsatz (3) müssen Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten die Aufsichtsbehörde bei Offenlegung der Information allerdings nur noch über die Tatsache des Aufschubs an sich informieren. Solange der Emittent nachträglich in der Lage ist, den beschlossenen Aufschub zu begründen, kann nicht von ihm verlangt werden, dass er über diese Gründe Aufzeichnungen führt.
Die Aufzeichnung der Gründe für den Aufschub der Offenlegung wird in der Regel weiterhin angezeigt sein, weil der Emittent sonst kaum in der Lage sein wird, den Aufschub auch später noch zu begründen. Die Anfrage zur Vorlage der Begründung des Aufschubs kann durchaus erst nach zwei oder drei Jahren erfolgen, da Anhörungs- und Ermittlungsverfahren der BaFin in solchen Zeiträumen ablaufen. Um dann noch sicher Auskunft über die Gründe und Voraussetzungen eines Aufschubs geben zu können, wird eine Dokumentation der Gründe für den Aufschub erforderlich sein. Die Erleichterung dürfte damit darin liegen, dass das aktenmäßige Festhalten der Aufschubgründe nicht bis zur Offenlegung der Insiderinformation erfolgt sein muss und formlos erfolgen kann.
Praxistipp
Emittenten an einem KMU-Wachstumsmarkt sind nicht mehr generell von der Pflicht zur Führung einer Insiderliste befreit, müssen dafür jedoch nur noch sogenannte permanente Insider in ihre Insiderlisten aufnehmen.
Die bisher in Artikel 18 Absatz (6) MAR vorgesehene gelockerte Anforderung, wonach KMU-Emittenten eine Insiderliste nur auf Verlangen der BaFin erstellen müssen, zeigte in der Praxis nur begrenzt Erleichterungswirkung.
Nach neuer Regelung soll nun eine Insiderliste erstellt werden müssen. In diese sollen allerdings nur solche Personen aufgenommen werden, die im Zuge der normalen Erfüllung ihrer Aufgaben jederzeit auf Insiderinformationen zugreifen können, wie Geschäftsführer, Mitglieder der Leitungsorgane oder In-House Counsel, d.h. vor allem die eigene Rechtsabteilung (sog. permanente Insider).
Die BaFin kann diese Regelung für Deutschland außer Kraft setzen, sofern es Bedenken gegen die Integrität des Marktes gibt. Aktuell ist dies nicht der Fall.
Die ESMA hat technische Durchführungsstandards („ITS“) ausgearbeitet, in denen das genaue Format der Insiderlisten für KMU festgelegt ist.
Darüber hinaus werden in Artikel 18 Absätze (1), (2), (4) und (5) MAR im Wortlaut geringfügig angepasst, sodass klargestellt ist, dass die Pflicht zur Erstellung von Insiderlisten sowohl den Emittenten (hier keine Beschränkung auf KMU-Emittenten) als auch allen in ihrem Namen oder für ihre Rechnung handelnden Personen obliegt. Damit werden die Verantwortlichkeiten aller im Namen oder für Rechnung der Emittenten handelnden Personen bezüglich der Erstellung von Insiderlisten klargestellt, um unterschiedliche Interpretationen und Handhabungen innerhalb der Europäischen Union zu vermeiden. Die ESMA hatte ein solches Verständnis bereits in ihren MAR Q&A festgehalten. Für Deutschland ändert sich dadurch nichts, da es bereits eine entsprechende Praxis der BaFin gibt.
Im September 2020 hat die europäische Finanzaufsichtsbehörde (ESMA) nach einem Konsultationsverfahren ihren Abschlussbericht über die Anwendung und die mögliche weitere Überarbeitung der Marktmissbrauchsverordnung (MAR Review) vorgelegt. Im Ergebnis schlägt die ESMA nur wenige praxisrelevante Änderungen vor. Allerdings befürwortet die ESMA weitere Konkretisierungen von Begrifflichkeiten in der MAR und Ergänzungen ihrer Leitlinien, um die einheitliche Anwendung der MAR in Europa sicherzustellen. Die Notwendigkeit der Einrichtung eines Compliance-Systems zur Vermeidung von Verstößen wird noch einmal besonders betont.
Die von der ESMA in Aussicht gestellten Konkretisierungen betreffen insbesondere (i) Umstände, die Insiderinformationen darstellen, (ii) die Frage der „Unverzüglichkeit“ der Veröffentlichung von Insiderinformationen sowie (iii) praktische Beispielsfälle, in denen die Voraussetzungen einer Selbstbefreiung erfüllt sind.
Die ESMA empfiehlt, die Definition des Begriffs Insiderinformation nicht zu ändern und damit den für die EU etablierten Gleichlauf zwischen Ad-hoc-Publizitätspflicht und Insiderhandelsverbot aufrecht zu erhalten. In der Literatur wird dies vermehrt mit Hinweis auf eine andere und dabei praktikablere Herangehensweise im US-Recht kritisiert.
Nach Auffassung der ESMA sind in Insiderlisten nur solche Personen aufzuführen, die tatsächlich Zugang zu einer Insiderinformation haben. Dies soll in den Erwägungsgründen der MAR klargestellt werden und stellt daher keine Änderung der MAR dar. Die BaFin vertritt hier bislang eine strengere Ansicht, wonach auch solche Personen aufzunehmen sind, die lediglich potentiell Zugang zu einer Insiderinformation haben. Bis zur Äußerung der BaFin auf diese ESMA-Feststellung empfiehlt sich die Befolgung der strengeren BaFin-Praxis.
Hinsichtlich der Mitteilung von Directors’ Dealings sieht die ESMA nur wenig Anpassungsbedarf. Obwohl es entsprechende Überlegungen gab, sollte weder die Höchstschwelle von EUR 20.000 pro Kalenderjahr angepasst werden, noch sollte das Handelsverbot während der Closed Period auf nahestehende Personen ausgeweitet werden.
Allerdings empfiehlt die ESMA, bestimmte Transaktionen aus dem Handelsverbot auszunehmen, die vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst sind. Einen für die Praxis besonders bedeutsamen Fall stellen Transaktionen im Zusammenhang mit Kapitalmaßnahmen des Emittenten dar. Das Timing solcher Transaktionen hatte in der Vergangenheit verbreitet Probleme bereitet, sofern Vorstands- und/oder Aufsichtsratsmitglieder auch Aktionäre der Gesellschaft waren.
Bereits aktuelle praktische Relevanz dürfte dagegen die ausdrückliche Feststellung der ESMA hinsichtlich der Notwendigkeit der Einrichtung eines Compliance-Systems haben. Das Compliance-System muss nach Ansicht der ESMA in der Lage sein, Insiderinformationen unverzüglich zu identifizieren und unverzüglich veröffentlichen zu können. Die ESMA geht davon aus, dass ein Emittent ohne solch ein effektives System und ohne entsprechende Vorkehrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen Bestimmungen der MAR verstoßen wird. Dies kommt einer Pflicht zur Einrichtung eines Kapitalmarkt-Compliance-Systems gleich, auch wenn dies in der MAR nicht ausdrücklich vorgegeben ist.
Praxistipp
Dieses Dokument dient nur der Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Morrison & Foerster haftet nicht für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Textes.
[1] Verordnung (EU) 2019/2115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU und der Verordnungen (EU) 596/2014 und (EU) 2017/1129 zur Förderung der Nutzung von KMU-Wachstumsmärkten.