Update Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht: Deutscher Corporate Governance Kodex 2019
Update Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht: Deutscher Corporate Governance Kodex 2019
Mit erheblicher Verzögerung und überschattet von den gesetzgeberischen Eilmaßnahmen zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie ist am 20. März 2020 eine neue Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) in Kraft getreten. So wenig öffentlichkeitswirksam sein Inkrafttreten war, so weitreichend sind die neuen Vorgaben, die alle im regulierten Markt gelisteten Aktiengesellschaften ab sofort berücksichtigen müssen, soll bei der nächsten Entsprechenserklärung keine Abweichung erklärt werden. Nachstehend geben wir Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen und den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf.
Der neue Kodex wurde nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell grundlegend überarbeitet und enthält neben Empfehlungen und Anregungen nun auch sogenannte Grundsätze. Diese dienen der Information über die wesentlichen gesetzlichen Vorgaben für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung und bilden die Basis für die daraus abgeleiteten Empfehlungen und Anregungen. Für die jährliche Entsprechenserklärung sind diese Grundsätze jedoch nicht relevant, da sich die Entsprechenserklärung weiterhin nur auf Empfehlungen zu beziehen hat. Der Aufbau des Kodex orientiert sich nunmehr an den zentralen Aufgaben der Leitung und Überwachung (ergänzt um damit zusammenhängende Fragen), anstatt – wie bisher – an der Systematik des Gesetzes. Den vollständigen Text der neuen Fassung des Kodex finden Sie auf der Website der Regierungskommission unter www.dcgk.de.
Die wichtigsten Änderungen betreffen die folgenden Punkte:
Die Erstbestellung von Vorstandsmitgliedern soll nun für längstens drei Jahre erfolgen (Empfehlung B.3). Dies steht im Einklang mit einer ohnehin verbreiteten Praxis.
Nebentätigkeiten, insbesondere konzernfremde Aufsichtsratsmandate, sollen Vorstandsmitglieder nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats übernehmen (Empfehlung E.3).
Wer dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, soll insgesamt nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbare Funktionen und keinen Aufsichtsratsvorsitz in einer konzernexternen börsennotierten Gesellschaft wahrnehmen (Empfehlung C.5).
Im Bereich der Vorstandsvergütung bringt der neue Kodex umfassende – durch die gesetzlichen Vorgaben des ARUG II bedingte – Neuerungen. Das ARUG II verlangt, dass der Aufsichtsrat ein klares und verständliches System zur Vergütung der Vorstandsmitglieder entwickelt. Nach Empfehlung G.1 des Kodex soll im Vergütungssystem insbesondere festgelegt werden,
- wie für die einzelnen Vorstandsmitglieder die Ziel-Gesamtvergütung bestimmt wird und welche Höhe die Gesamtvergütung nicht übersteigen darf (Maximalvergütung),
- welchen relativen Anteil die Festvergütung einerseits sowie kurzfristig variable und langfristig variable Vergütungsbestandteile andererseits an der Ziel-Gesamtvergütung haben,
- welche finanziellen und nichtfinanziellen Leistungskriterien für die Gewährung variabler Vergütungsbestandteile maßgeblich sind,
- welcher Zusammenhang zwischen der Erreichung der vorher vereinbarten Leistungskriterien und der variablen Vergütung besteht,
- in welcher Form und wann das Vorstandsmitglied über die gewährten variablen Vergütungsbeträge verfügen kann.
Auf dieser Basis soll der Aufsichtsrat dann für jedes einzelne (!) Vorstandsmitglied eine konkrete Ziel-Gesamtvergütung (Summe aller Vergütungsbeträge eines Jahres bei hundertprozentiger Zielerreichung) bestimmen (Empfehlung G.2).
In Konkretisierung der gesetzlichen Regelung in § 87 Abs. 1 S. 1 AktG empfiehlt der Kodex, dass der Aufsichtsrat zur Beurteilung der Üblichkeit der konkreten Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder einen Peer-Group-Vergleich mit anderen Unternehmen anstellt und die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe offenlegt (Empfehlung G.3).
Für alle variablen Vergütungsbestandteile jedes Vorstandsmitglieds soll der Aufsichtsrat für das jeweils bevorstehende Geschäftsjahr die Leistungskriterien festlegen, die sich neben operativen vor allem an strategischen Zielsetzungen orientieren sollen (Empfehlung G.7). Dabei soll die langfristig variable Vergütung über der kurzfristig variablen Vergütung liegen (Empfehlung G.6). Die langfristig variable Vergütung soll das Vorstandsmitglied überwiegend in Aktien der Gesellschaft erhalten oder in solche anlegen müssen; über die Beträge der langfristig variablen Vergütung soll der Vorstand erst nach vier Jahren verfügen können (Empfehlung G.10).
Des Weiteren soll der Aufsichtsrat auf außergewöhnliche Entwicklungen im Hinblick auf die Vergütung angemessen reagieren können und in begründeten Fällen die variablen Vergütungsbestandteile einbehalten oder zurückfordern können (clawback) (Empfehlung G.11).
Es bleibt dabei, dass die Höhe der Zahlungen an ein Vorstandsmitglied bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit den Wert von zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten (Abfindungs-Cap) und nicht mehr als die Restlaufzeit des Dienstvertrags vergütet werden soll. Im Fall eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots soll die Abfindungszahlung auf die Karenzentschädigung angerechnet werden (Empfehlung G.13).
Wird ein Vorstandsdienstvertrag – etwa infolge eines Change of Control – vorzeitig beendet, soll die Auszahlung noch offener variabler Vergütungsanteile nach den ursprünglich vereinbarten Zielen und festgelegten Fälligkeitszeitpunkten erfolgen (Empfehlung G.12). Der Kodex enthält insoweit auch eine zusätzliche Anregung, dass keine Leistungen an den Vorstand aufgrund eines Kontrollwechsels vereinbart werden sollen (Anregung G.14). Die Nichtbefolgung dieser Anregung hat aber keine Auswirkungen im Rahmen der Entsprechenserklärung.
Praxistipp
Der neue Kodex enthält verschärfte Empfehlungen zur Vermeidung des sogenannten Overboarding. Sollte sich der Aufsichtsrat bisher lediglich für seine Wahlvorschläge bei den Kandidaten vergewissern, dass diese den zu erwartenden Zeitaufwand auch leisten können, empfiehlt der Kodex nunmehr auch für Aufsichtsratsmitglieder konkrete Höchstgrenzen für die Anzahl parallel wahrgenommener Aufsichtsratsmandate.
Aufsichtsratsmitglieder, die nicht dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehören, sollen insgesamt jeweils nicht mehr als fünf Aufsichtsratsmandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbare Funktionen wahrnehmen; ein Aufsichtsratsvorsitz zählt doppelt (Empfehlung C.4).
Aufsichtsratsmitglieder, die zugleich Vorstandsmitglied einer börsennotierten Gesellschaft sind, sollen nur noch ein weiteres Aufsichtsratsmandat in einer konzernexternen börsennotierten Gesellschaft wahrnehmen und dabei nicht den Vorsitz des Gremiums innehaben (Empfehlung C.5).
Praxistipp
Empfehlungen des Kodex hinsichtlich der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern gelten nur für Anteilseignervertreter, dies wurde nun klargestellt. Unabhängig ist ein Aufsichtsratsmitglied dann, wenn es unabhängig ist (i) von der Gesellschaft und deren Vorstand, (ii) von einem kontrollierenden Aktionär und (iii) von wesentlichen Wettbewerbern.
Unabhängigkeit von der Gesellschaft und vom Vorstand
Ließ die Vorgängerfassung des Kodex noch zu, dass dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehört, gibt es nun eine klare Vorgabe. „Mehr als die Hälfte“ der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat soll von der Gesellschaft und deren Vorstand unabhängig sein (Empfehlung C.7), wobei der AR-Vorsitzende sowie die Vorsitzenden des Prüfungs- und des Vergütungsausschusses immer von der Gesellschaft und vom Vorstand unabhängig sein sollen (Empfehlung C.10).
Ein Aufsichtsratsmitglied wird als unabhängig angesehen, wenn das Mitglied in keiner (i) persönlichen oder (ii) geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder ihrem Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann (Empfehlung C.7).
Bei der Einschätzung der Unabhängigkeit sollen nun katalogmäßig aufgeführte Umstände als Indikatoren berücksichtigt werden, bei deren Vorliegen eine Unabhängigkeit fraglich ist (Empfehlung C.7). Dabei genügt es, wenn diese Umstände beim jeweiligen Aufsichtsratsmitglied selbst oder aber bei einem nahen Familienangehörigen (Definition gemäß IAS 24.9) vorliegen:
- Mitgliedschaft im Vorstand in den letzten zwei Jahren,
- Innerhalb des letzten Jahres Gesellschafter oder in verantwortlicher Funktion in einem konzernfremden Unternehmen, welches eine wesentliche geschäftliche Beziehung mit der Gesellschaft oder einem von der Gesellschaft abhängigen Unternehmen unterhält oder unterhalten hat (z. B. als Kunde, Lieferant, Kreditgeber oder Berater),
- Ein Vorstandsmitglied ist ein naher Familienangehöriger,
- Mitgliedschaft im Aufsichtsrat seit mehr als zwölf Jahren.
Unabhängigkeit vom kontrollierenden Aktionär
Hat die Gesellschaft einen kontrollierenden Aktionär (kraft Beherrschungsvertrages, absoluter Stimmenmehrheit oder zumindest nachhaltiger Hauptversammlungsmehrheit), soll eine gewisse Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern unabhängig von diesem sein (Empfehlung C.9):
- Bei einem Aufsichtsrat mit sechs oder weniger Mitgliedern soll mindestens ein Anteilseignervertreter unabhängig vom kontrollierenden Aktionär sein.
- Wenn der Aufsichtsrat aus mehr als sechs Mitgliedern besteht, sollen mindestens zwei Anteilseignervertreter unabhängig vom kontrollierenden Aktionär sein.
- Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll immer unabhängig von kontrollierenden Aktionären sein (Empfehlung C.10).
Ein Aufsichtsratsmitglied ist dann vom kontrollierenden Aktionär unabhängig, wenn es selbst oder ein naher Familienangehöriger (i) weder kontrollierender Aktionär ist noch (ii) dem geschäftsführenden Organ des kontrollierenden Aktionärs angehört oder (iii) in einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zum kontrollierenden Aktionär steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann.
Unabhängigkeit von wesentlichen Wettbewerbern
Zusätzlich sollen Aufsichtsratsmitglieder keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern der Gesellschaft wahrnehmen und nicht in Beziehung zu einem wesentlichen Wettbewerber stehen (Empfehlung C.12).
Praxistipp
Bei der Vergütung hat sich nichts geändert. Der höhere zeitliche Aufwand des Aufsichtsratsvorsitzenden, seines Stellvertreters sowie des Vorsitzenden und der Mitglieder der Ausschüsse soll wie bisher bei der Vergütung angemessen berücksichtigt werden (Empfehlung G.17). Ferner sollte (Anregung) die Vergütung grundsätzlich in einer Festvergütung bestehen. Wird dennoch eine erfolgsorientierte Vergütung vorgesehen, empfiehlt der Kodex, diese auf eine langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten (Empfehlung G.18).
Die neue Kodexfassung verlangt nicht mehr, eine Regelgrenze für die Zugehörigkeitsdauer zum Aufsichtsrat festzulegen. Dafür soll nun die Dauer der Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat offengelegt werden (Empfehlung C.3).
Im Bericht des Aufsichtsrats soll angegeben werden, an wie vielen Sitzungen des Aufsichtsrats und der Ausschüsse die einzelnen Mitglieder jeweils teilgenommen haben (Empfehlung D.8). Bisher war nur offenzulegen, wenn ein Mitglied nur an der Hälfte oder weniger der Sitzungen teilgenommen hat.
Neu ist auch, dass die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich gemacht werden soll (Empfehlung D.1). Siehe dazu auch unseren Praxistipp ganz am Ende dieses Client Alerts.
Schließlich soll nun auch die Vorgehensweise bei der langfristigen Nachfolgeplanung für den Vorstand in der Erklärung zur Unternehmensführung beschrieben werden (Empfehlung B.2).
Praxistipp
Der Aufsichtsrat soll nunmehr regelmäßig – und nicht wie bisher nur bei Bedarf – auch ohne den Vorstand tagen (Empfehlung D.7).
Außerdem soll er regelmäßig beurteilen, wie wirksam der Aufsichtsrat insgesamt und seine Ausschüsse ihre Aufgaben erfüllen. In der Erklärung zur Unternehmensführung soll der Aufsichtsrat berichten, ob und wie eine Selbstbeurteilung durchgeführt wurde (Empfehlung D.13). Die Ergebnisse der Selbstbeurteilung müssen dagegen nicht offengelegt werden.
Praxistipp
Neu ist, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses mit der Abschlussprüfung vertraut sein soll (Empfehlung D.4), was bereits in der Praxis häufig anzutreffen ist. Zusätzlich soll der Prüfungsausschuss regelmäßig eine Beurteilung der Qualität der Abschlussprüfung vornehmen (Empfehlung D.11).
Die vom neuen Kodex geforderten Angaben sind nun nicht mehr in einem separaten Corporate Governance Bericht zu machen, sondern in der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289f HGB) sowie im Bericht des Aufsichtsrats (§ 171 Abs. 2 HGB).
Die Erklärung zur Unternehmensführung soll dabei um die folgenden Angaben ergänzt werden:
Der Bericht des Aufsichtsrats soll die folgenden zusätzlichen Angaben enthalten:
Zur Übersicht eine kurze Zusammenfassung, welche Empfehlungen mit dem neuen Kodex abgeschafft wurden:
Folgende Empfehlungen waren im ersten Entwurf eines neuen Kodex enthalten, wurden dann aber nicht in die finale Fassung übernommen:
Das Aktienrecht verlangt eine jährliche Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat, ob den Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht.
Die Erklärung umfasst daher eine Berichterstattung über die Vergangenheit („wurde“) und eine Absichtserklärung für die Zukunft („wird“).
Wenn es im Laufe des letzten Jahres bis zum Zeitpunkt der Abgabe der Entsprechenserklärung eine neue Kodexfassung gab, dann hat sich die Berichterstattung für die Vergangenheit auf die alte und auch auf die neue Fassung zu beziehen. Die Absichtserklärung für die Zukunft hat sich dagegen nur auf die neue Fassung zu beziehen.
Eine unterjährige Aktualisierung der Entsprechenserklärung ist nur notwendig, wenn sich etwas an der Absicht zur Einhaltung der Empfehlungen für die Zukunft ändert.
Praxistipp
Über Morrison & Foerster:
Morrison & Foerster ist eine international tätige Anwaltskanzlei von herausragendem Ruf. Im Jahr 1883 in San Francisco gegründet, beraten heute mehr als 1.000 Rechtsanwälte die weltweit führenden Technologie-, Medien-, Telekommunikations- und Life Science-Unternehmen sowie Finanzinstitute und Investmentbanken.
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