Hauptversammlung in Coronavirus-Zeiten – der Gesetzgeber macht es möglich
Hauptversammlung in Coronavirus-Zeiten – der Gesetzgeber macht es möglich
Gesellschaften können aufgrund der COVID-19 Pandemie ihre Hauptversammlungen nicht wie gewohnt durchführen. Die immer strengeren Auflagen der Gesundheitsbehörden sind mit der Präsenz von vielen Teilnehmern auf einer Hauptversammlung nicht in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund haben bereits viele Gesellschaften ihre anstehende ordentliche Hauptversammlung verschoben. Dies kann jedoch erhebliche Probleme mit sich bringen, wenn auf der Hauptversammlung beispielsweise die Ausschüttung einer Dividende oder wichtige Kapital- oder Strukturmaßnahmen beschlossen werden sollen. Nachdem mehrere europäische Staaten hier durch die Möglichkeit einer rein virtuellen Hauptversammlung Abhilfe geschaffen haben, reagiert nun auch der deutsche Gesetzgeber. Am 25. März 2020 hat der Bundestag im Rahmen eines großen Gesetzespakets zur COVID-19-Pandemie Abhilfe beschlossen.
Nach dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz sollen vorübergehend folgende Erleichterungen für die AG, KGaA und SE geschaffen werden:
Bislang besteht für Aktiengesellschaften nur die Möglichkeit, zusätzlich zur Präsenz-Hauptversammlung auch die Online-Teilnahme für Aktionäre zu ermöglichen (sog. Hybrid-HV). Das Gesetz sieht nun vor, dass der Vorstand auch eine Hauptversammlung ohne Präsenz von Aktionären und Vertretern anordnen kann.
Voraussetzung für eine präsenzlose Hauptversammlung ist, dass
1. eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt, d. h. einschließlich Generaldebatte und Abstimmung,
2. die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie im Wege der Vollmachtserteilung möglich ist,
3. den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird,
4. diejenigen Aktionäre, die ihr Stimmrecht nach Nummer 2 ausgeübt haben, eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen Beschlüsse der Hauptversammlung eingeräumt wird.
Für die nach Nr. 3 verlangte Beantwortung von Fragen gibt es zusätzlich wesentliche Erleichterungen.
Zum einen kann der Vorstand vorgeben, dass die Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Das würde die Durchführung der Hauptversammlung sehr entlasten, da die Beantwortung der Fragen bereits umfassend vor der Hauptversammlung vorbereitet werden könnte. Eine Beantwortung in der Hauptversammlung kann sogar ganz entfallen, wenn die Fragen auf der Unternehmens-Website vorab beantwortet werden. Zusätzlich kann der Vorstand die Fragemöglichkeit auf die Aktionäre beschränken, die sich angemeldet haben.
Zum anderen soll der Vorstand nach „pflichtgemäßem Ermessen“ entscheiden können, welche Fragen er und wie er diese beantwortet. Dies soll dem Vorstand ermöglichen, nicht unbedingt sämtliche gestellten Fragen beantworten zu müssen. Der Vorstand kann die Fragen zusammenfassen und im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen. Er kann dabei Aktionärsvereinigungen und institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen. Diese Einschränkung des Auskunftsrechts soll sicherstellen, dass die Hauptversammlung nicht durch eine Flut von online gestellten Fragen überfordert und dadurch beschlussunfähig wird.
Bei einer präsenzlosen Hauptversammlung müssten lediglich der Versammlungsleiter, der Vorstand und der Notar „präsent“ sein. Sämtliche Aktionäre könnten von einer Teilnahme „vor Ort“ ausgeschlossen und auf die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation verwiesen werden. Unabhängig davon kann aber der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft präsent sein, um Aktionärsstimmen in Vollmacht auszuüben.
Neben der Möglichkeit zum Ausschluss der Präsenz gibt es auch die Möglichkeit, sämtliche Antragsrechte während der Hauptversammlung auszuschließen. Wird die Hauptversammlung nämlich nur mittels elektronischer Briefwahl und Vollmachtsstimmrecht durchgeführt (d. h. nicht im Wege vollständiger elektronischer Teilnahme), fallen alle Antragsrechte „in“ der Versammlung weg. Anträge kann es nur bei (elektronischer) Teilnahme von Aktionären geben. Dies stellt eine erhebliche Erleichterung dar, da Störmanöver von aktivistischen Aktionären während der Hauptversammlung ausgeschlossen sind. Lediglich die Möglichkeit zum Widerspruch ist für die teilnehmenden Aktionäre zwingend vorzusehen. Dieser ist Voraussetzung, damit Aktionäre gegen Beschlüsse der Hauptversammlung im Klagewege vorgehen können.
Um Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Nutzung der neuen Möglichkeiten auszuschließen, sieht das Gesetz außerdem die Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit im Hinblick auf technische Unzulänglichkeiten vor. Eine Anfechtung soll hier nur bei Vorsatz möglich sein. Gleiches gilt im Hinblick auf das nur noch beschränkte Auskunftsrecht der Aktionäre.
Der Vorstand soll in diesem Zusammenhang die Möglichkeit erhalten, auch ohne Satzungsermächtigung (!) den Aktionären die Möglichkeit der elektronischen Rechtsausübung einzuräumen. Dies betrifft
- die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation (elektronische Teilnahme),
- die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation (Briefwahl) und
- die Zulassung der Bild- und Tonübertragung.
Zusätzlich kann der Vorstand auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats an der Hauptversammlung im Wege der Bild- und Tonübertragung vorsehen.
Diese Regelungen sollen die Möglichkeit der Durchführung einer präsenzlosen Hauptversammlung auch für diejenigen Aktiengesellschaften sichern, deren Satzung bislang keine solche Ermächtigung enthält.
Darüber hinaus soll der Vorstand unabhängig von der jeweiligen Satzungsbestimmung die Möglichkeit haben, die Hauptversammlung statt bisher in 30 Tagen in nur 21 Tagen einzuberufen. Dies soll den Gesellschaften helfen, die ihre Hauptversammlung bereits verschieben mussten und die diese nun schnell nachholen wollen. Der Nachweis des Anteilsbesitzes hat sich dabei auf den zwölften Tag vor der Hauptversammlung zu beziehen und muss bei Inhaberaktien spätestens am vierten Tag vor der Hauptversammlung zugehen.
Bei der Inanspruchnahme der verkürzten Einberufungsfrist raten wir jedoch zur Vorsicht, da dies ein Abweichen von Banken und Dienstleistern vom bisherigen und gut eingespielten Prozedere erfordert. Weiterhin ist nicht ganz klar, welche Bedeutung die Anmeldefrist in diesem Zusammenhang haben soll.
Der Vorstand kann auch entscheiden, die Hauptversammlung nicht innerhalb der ersten acht Monate durchzuführen, so wie das bislang verpflichtend ist. Die Frist soll bis zum Ende des Geschäftsjahres verlängert werden.
Diese Fristverlängerung gilt jedoch nicht für die SE, da die Fristen hier durch europäisches Recht geregelt sind. Diesen Gesellschaften wird daher die Möglichkeit der Verschiebung auf einen späteren als bisher zulässigen Zeitpunkt nicht zur Verfügung stehen. Die Hauptversammlung muss weiterhin innerhalb der ersten sechs Monate durchgeführt werden.
Der Vorstand soll auch ohne Ermächtigung durch die Satzung entscheiden können, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre auszuschütten. Dies soll diejenigen Gesellschaften entlasten, deren Aktionären die Ausschüttung einer Dividende bereits angekündigt wurde. Mit der Vorabausschüttung eines Abschlags kann so Zeit für die Vorbereitung einer präsenzlosen Hauptversammlung gewonnen werden.
Alle hier vorgestellten Maßnahmen bedürfen jeweils der Zustimmung des Aufsichtsrats, welcher ungeachtet anderslautender Regelungen in Satzung oder Geschäftsordnung ohne Erfordernis einer Präsenzsitzung darüber beschließen kann.
Die präsenzlose Hauptversammlung wird nun Realität. Dies verlangt jedoch umfangreiche Vorbereitungen auf organisatorischer und technischer Seite, um die gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen zu schaffen. Insbesondere wird zu klären sein, auf welchem Wege Aktionäre Widerspruch erheben können. Der Widerspruch muss elektronisch während der Hauptversammlung einzulegen sein, was zumindest für diesen Zweck eine zweiseitige Kommunikationsmöglichkeit mit einer vorgelagerten Prüfung der Berechtigung zum Widerspruch erfordert. Eine technisch einfache Lösung muss dabei nicht immer der beste Weg sein und muss in jedem Fall von einer durchdachten Hauptversammlungs-Organisation begleitet werden. So könnte beispielsweise ein einfacher „Klick“ zum Widerspruch im HV-Internetportal eine zu leichte Übung sein und Aktionäre in die Versuchung bringen, das doch einfach mal zu probieren. Hier empfiehlt sich eine durchdachtere Lösung. Aus Gesprächen mit HV-Dienstleistern wissen wir, dass die notwendige Technik für die neuen Anforderungen zur Verfügung stehen wird. Bei der konkreten Ausgestaltung sollte man jedoch mit Bedacht vorgehen.
Oberstes Ziel muss – wie auf jeder Hauptversammlung – die Sicherung der notwendigen Mehrheiten sein. Dies erfordert gerade in der aktuellen Situation neben der rechtlichen und technischen Vorbereitung eine umfassende Kommunikation mit den Investoren. Vor diesem Hintergrund sollten die verfügbaren rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten individuell an die jeweilige Situation angepasst werden.
Der Bundestag hat das Gesetz am heutigen 25. März 2020 beschlossen. Die Zustimmung des Bundesrates ist für den 27. März 2020 geplant. Die Regelungen sollen bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft treten und automatisch mit Ablauf des 31. Dezember 2021 außer Kraft treten.
Unsere Erfahrungen mit der vollständigen Online-Teilnahme von Aktionären an einer Hauptversammlung während der letzten sieben Jahre haben gezeigt, dass die technische und rechtliche Umsetzung der neuen Anforderungen durchaus möglich ist. Wir hoffen sehr, dass diese Gestaltung der Hauptversammlung sich nun im Praxistest bewährt und es im Anschluss dauerhaft zumindest alternativ das Angebot zur Online-Teilnahme an der Hauptversammlung bei allen Gesellschaften geben wird (sog. Hybrid-HV).